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Weil ich eine Frau bin

Wenn ich ein Monat nach einem Sturz vom Pferd noch Schmerzen in der Wirbelsäule habe, dann ist das eine somatoforme Schmerzstörung, also: psychosomatisch, wird mir gesagt. Wenn ich ein Mann wäre, dann würde keiner auf die Idee kommen. Ein Freund hat schon Jahre Schmerzen und nach zwei Operationen in der Wirbelsäule noch immer Schmerzen. Das wird ernst genommen. Wäre ich an seiner Stelle, würde man sagen: Sie können keine Schmerzen mehr haben. Die Schmerzursache wurde doch operativ beseitigt. Aber ich bin ja eine Frau. Frauen sind sensibler, heißt es. Frauen werden gleich auf die psychosomatische Ebene geschoben, wenn die Ursache der Schmerzen nicht offensichtlich ist. Diese zarte Frau hat doch sicher psychische Probleme, die sich auf den Körper geschlagen haben. So denkt man über mich. Das männliche Gesicht, das mir das vermittelt, schaut unzufrieden aus. Irgendwie habe ich den Eindruck, es muss mir Selbstbewusstsein vortäuschen. Ich beobachte Menschen sehr gut. Und ich nehme sehr viel wahr. Zu sagen, ich weiß im Moment die genaue Ursache ihrer Schmerzen nicht, würde ich als Stärke empfinden. Mein Gegenüber sieht das als Schwäche an und stellt Behauptungen auf, die er nicht einmal überprüft. Er weiß nicht, dass ich schon als Jugendliche meine Frau, besser gesagt den Mann stellen musste. Die Männer in unserer Familie waren die meiste Zeit für die Arbeit in der Landwirtschaft nicht greifbar. Mein Großvater war mit der Forstarbeit beschäftigt und mein Vater war beruflich bedingt viel abwesend. Meine Großmutter übernahm schon als Jugendliche die Rolle des Knechtes und so hat sie mir das auch vorgelebt und gelernt. Vor körperlicher Arbeit wurden wir nicht geschont. Und mit 15 Jahren löste ich meine schwerkranke Großmutter ab und übernahm die Rolle des Mannes auf unserem kleinen Hof. Natürlich nur, wenn mein Vater nicht da war. Da gab es keine Wehwechen und schon gar kein Kranksein. So schnell jammere ich nicht. Und ich habe eine Grundzufriedenheit in mir. Aber mein Gegenüber weiß das nicht. Er fragt nicht mal danach. Für ihn ist die Sache klar. Meine Schmerzen haben psychischen Ursprung, weil ich eine Frau bin. Ich finde das ziemlich ungerecht. Das lasse ich mir nicht mehr gefallen. Natürlich kenne ich auch körperliche Beschwerden, die stressbedingt oder auf Grund anderer Ursachen entstehen. Ich kenne meinen Körper, schließlich wohne ich schon Jahrzehnte darin und fast die Hälfte davon beobachte ich die körperlich-seelischen Zusammenhänge. Ich habe aber keine Gelegenheit dem Gesicht das zu sagen. Der Körper, der dazu gehört ist in Eile und in Stress. Und ich bekomme auch Konflikte mit, die seine Seele hat. Somatoforme Schmerzstörung würde doch besser zu diesem Menschen passen. Gott sei gedankt, dass nicht alle so sind, wie dieser Arzt. Monate später findet man(n) doch die (körperliche) Ursache.